Die Geschichte war schon immer mein Lieblingsfach. Ehrlich gesagt, sie war das einzige Lehrfach, in dem ich das Abitur ausgezeichnet ablegte. Nicht so lange her, etwa vor einem halben Jahr bin ich daraufgekommen: es ist gewiss nicht alles so geschehen, wie wir es gelernt haben. Woran denke ich eigentlich? Ich erinnere mich daran, dass unsere Lehrer damals sagten, die heutigen Nationalitäten die Nachkommen der (vor allem deutschen) Aussiedler nach der Türkenherrschaft waren, die Ansiedler im Mittelalter assimilierten sich oder starben aus. Ich war überrascht, als ich eine solche „assimilierte“ Gemeinschaft gefunden habe, mit der auch ich väterlicherseits verwandt bin. Es hat mit einer „harmlosen“ Familienforschung begonnen. Schon in meiner Kindheit hat es mich gestört, dass ich außer meinem Vater und meiner Schwester keinen anderen Fleischer gekannt habe. Im Herbst 2000 habe ich mich zu der Forschung entschlossen. Meine Urgroßmutter brachte noch als Mädchen meinen Großvater väterlicherseits zur Welt, so vererbte sich ihr Familienname: Fleischer. Meine Urgroßmutter ist in Deutschpilsen (Deutschpilsen) geboren, so musste ich dorthin forschen gehen. Zuerst konnte ich bis zur Mitte der 80-er Jahre des 18. Jahrhunderts zurückgehen. Über die Jahre vor 1780 gab es keine evangelischen Kirchenbücher. Zum Glück wurden die evangelischen Personalien vor 1780 in die katholischen Kirchenbücher eingetragen, und so bin ich im Januar und Februar 2000 bis zum Ende des 17. Jahrhunderts gekommen, und damit habe ich bewiesen, dass alle Fleischers in Deutschpilsen mit mir verwandt sind. Damals habe ich noch immer nicht gewusst, wie alt diese Gemeinschaft ist. Aber es hat mich neugierig gemacht, dass uns nicht Maria Teresia im Land angesiedelt hatte. Ehrlich gesagt, habe ich nicht ernsthaft darüber nachgedacht.
Dazu kam noch, dass ich dank eines Bekannten, der auch Familienforscher ist, im März 2001 in den „Arbeitskreis ungardeutscher Familienforscher“ (AkuFF) eingetreten bin. Ein paar Monate später ist noch jemand eingetreten. Er heißt Batizi Zoltán, ist Archäologe, und wohnt in Nagybörzsöny. Nebenbei gesagt, er hat auch Fleischer-Ahnen mütterlicherseits. Er hat eine Lawine losgetreten. Als in der Geschichte bewanderte Person hat er mich auf einige Probleme aufmerksam gemacht. Er hat mir gesagt, dass ein Buch über die Gemeinde Deutschpilsen von Horváth M. Ferenc in der Reihe „Száz magyar falu könyvesháza“ erschienen ist. Ich habe es kaufen können, und es war eine Fundgrube für mich. Nagybörzsöny war ein Dorf, wo Bergleute wohnten, und das mit den in der Nähe liegenden sogenannten oberungarischen Bergstädten, mit Körmöcbánya (Kremnitz) und Selmecbánya (Schemnitz) Kontakt hatte. In diesen Städten siedelten sich im 13. Jahrhundert Deutsche an, die eine süd-mitteldeutsche und südbayrische Sprache gesprochen haben. Vermutlich hat der Grundherr, der Erzbischof von Esztergom (Gran) aus diesen Städten Familien zum Betreiben der Gruben von Deutschpilsen gerufen. Folgendes beweist das: sogar im 19. Jahrhundert konnte man feststellen, dass der deutsche Dialekt von Deutschpilsen mit der süddeutschen, südbayrischen Sprache von Körmöcbánya verwandt ist. Aber im Zusammenhang damit gibt es noch etwas, das man erforschen sollte. Im Korridor des Bürgermeisteramtes von Deutschpilsen ist eine kurze Dorfgeschichte ausgehängt. Diese hatte noch ein früherer Schuldirektor zusammengestellt. Darin werden die früheren bekannten Namen des Dorfes aufgezählt, und der erste ist „Pilsen aus Lüttich“. Dieser Namen kommt im Buch von Deutschpilsen nicht vor. Man kann nicht wissen, wo er gefunden wurde, und leider kann man ihn [den Schulleiter] nicht mehr fragen, da er schon gestorben ist. Lüttich ist der deutsche Name des belgischen Liege. Den Namen des Dorfes kann man folgenderweise deuten: Pilsen aus dem Gebiet Lüttich. Es ist aber sehr weit von Bayern oder von den süddeutschen Gebieten.
Ich habe von Zoltán erfahren, dass mehrere Autoren vor dem Zweiten Weltkrieg über den Dialekt in Deutschpilsen geschrieben haben, aber sie sind zu verschiedenen Ergebnissen gekommen. Nach Bél Mátyás (Anfang des 18. Jahrhunderts) hatten die Bewohner von Deutschpilsen einen sächsischen Dialekt. Diejenigen, die auch noch heute die Sprache sprechen, halten den Dialekt von Deutschpilsen auch für eine sächsische Mundart. Karl Manherz und die meisten Sprachwissenschaftler betonen den archaischen süddeutschen Faktor. Vielleicht haben alle beide Meinungen recht, und wir können über eine gemischte Sprache, ein gemischtes Volk sprechen. Es wäre gut, wenn jemand diese besondere Sprache gründlich aufzeichnen und analysieren würde.
Es gibt Vermutungen, dass der deutsche Teil der Bevölkerung in der Türkenzeit aus dem Dorf geflohen war, weil nur ungarische Namen auf den Steuerlisten vorkommen. Wer ist aber an ihre Stelle gekommen? Es ist kaum anzunehmen, dass Menschen von dem nicht-türkischen Gebiet auf türkisches Eroberungsgebiet umgezogen waren. Die Wanderung auf türkischem Eroberungsgebiet macht wieder keinen Sinn. Aber das Dorf gehörte in den 70-er Jahren 16. Jahrhunderts zu den mittelgroßen Dörfern, aber seine Steuer war höher als die einiger Städte. Das weist darauf hin, dass Deutschpilsen sogar in der Zeit der Türkenherrschaft ein wirtschaftlich starkes Dorf war, also es gab keinen triftigen wirtschaftlichen Grund, weshalb die Deutschen fliehen sollten.
Auch andere Angaben weisen auf die Kontinuität der deutschen Besiedlung hin. Nach einem deutschen evangelischen Priester wohnten 1572 in Deutschpilsen vorwiegend Deutsche. Vielleicht ein wichtiger Beweis dafür ist, dass die Gemeinvorsteher von Deutschpilsen noch am Anfang der 60-er Jahre des17. Jahrhunderts, also in der Zeit der Türkenherrschaft, auf Deutsch mit der Ungarischen Königlichen Kammer korrespondierten, während die von Ungarn bewohnten Orte das lateinische verwendet hatten. Auf der Steuerliste aus dem Jahr 1688 sind die auf der früheren türkischen Steuerliste stehenden ungarischen Namen schon auf Deutsch geschrieben. Für mich ist die Kontinuität der mittelalterlichen deutschen Bevölkerung im Dorf eindeutig. Es ist einfacher, das Schicksal der Deutschen im Dorf nach der Türkenzeit zu verfolgen, vor allem mit Hilfe der Kirchenbücher, die seit 1689 vorhanden sind. Das Dorf entwickelte sich verhältnismäßig ausgeglichen weiter. Später hat es unter den Folgen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges gelitten.
Vor allem die Folgen des Zweiten Weltkrieges waren in der Hinsicht der örtlichen Deutschen am schwersten. Nach dem Krieg gehörte auch Deutschpilsen zu den Orten, aus denen die deutsche Bevölkerung umgesiedelt wurde, weil sie Mitglieder im Volksbund waren. Aufgrund einer Registrierung aus 1945 wurde 100 Männer aus Deutschpilsen in die SS gemustert, von denen 85 Männer unter Zwang, also nur 15 waren Freiwillige. Wenn wir noch in Betracht zieht, dass die damalige Bevölkerung des Dorfes etwa 1800 Personen war, deren absolute Mehrheit, über 80% Deutsche waren, kommt einem die Zahl mit 15 Freiwilligen lächerlich vor.
40% der deutschen Familien wurden umgesiedelt, mehrere Familien mussten aus ihrem Haus ziehen. Aber die Deutschen aus Deutschpilsen wurden nicht nach Deutschland, sondern ins Komitat Nógrád, in ungarisches Milieu umgesiedelt. Die Mehrheit dieser Familien ist in zehn Jahren zurückgekehrt. Die Assimilierung der gebliebenen Familien ins Ungartum ist für heute völlig vollendet. Die Alten sind fast alle verstorben, die Jugendlichen sprechen aber den alten Dialekt von Deutschpilsen nicht mehr. Aber in Deutschpilsen ist die Lage auch nicht anders. Der Anteil der Deutschen im Dorf nahm wegen der Ansiedlungen ab, aber in den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich noch immer 60-62% der Bevölkerung als Deutsche bekannt.
Trotz der noch immer großen deutschen Bevölkerung sprechen immer weniger der Jugendlichen im Dorf den Deutschpilsener Dialekt. Nach Zoltán kann man nicht mehr über eine deutsche Minderheit mit großem Anteil im Dorf sprechen, eher über viele Familien, die einen deutschen Namen haben oder von deutscher Abstammung sind. Die Mehrheit der 60-jährigen sprechen nicht, die 50-jährigen verstehen nicht den Deutschpilsener Dialekt. Die diejenigen, die noch immer die Mundart sprechen, mischen vielmals ihre Sprache mit ungarischen Wörtern. So ist schon jetzt ein Teil des Wortschatzes verlorengegangen. In 15-20 Jahren wird man nur ein paar Menschen finden, die noch die Mundart sprechen werden. Das wird zum Untergang einer sehr alten Sprache, und damit zum Untergang einer Kleinkultur führen. Es wäre gut, wenn ein Kenner die Sprache aufzeichnen würde, damit sie mindestens als eine ausgestorbene Sprache erhalten bleibt, und nicht in der Versenkung der Geschichte verschwindet. Sollte man das nicht verwirklichen, dann kann man tatsächlich über vergessene Deutsche sprechen.
Deutsch von István Werner
Arbeit von Tibor Fleischer, Badeseck/Ungarn
03. 01. 2002